Es gibt kein tierfreundliches Fleisch

Manchmal denke ich, ich lese zu viel. Denn wenn ich lese, dann darüber, was schief läuft in unserer Welt, in unserem Denken. Und dann bekomme ich ein beklemmendes Gefühl, als hätte ich einen dicken Kloß im Hals. Und ich verstehe so viele Menschen nicht mehr, die ihr versuchen, ihr Handeln zu rechtfertigen, indem sie nach Ausflüchten suchen. Keiner macht alles richtig, auch ich nicht. Bei weitem nicht. Aber es gibt einfach Dinge, für die es heute – mit unserem Wissen – keine Rechtfertigung mehr gibt. Fleischessen gehört wohl dazu. Triggerwarnung: Im Artikel wird der Vorgang der Tiertötung beschrieben.

Würden wir das kleine, süße Ferkel auf dem Foto oben selbst töten müssen, ihm die Kehle durchschneiden oder das Bolzenschussgerät auf die Stirn setzen und abdrücken, es dann ausbluten lassen, um ihm danach den Bauch aufzuschlitzen, damit die Gedärme herausgenommen werden können. Würden wir das alles mit unseren Händen tun müssen, würde das Tier wohl überleben. Denn die meisten von uns könnten das nicht. Einem Tier in die Kulleraugen schauen und es dann (ab)schlachten.

Und dennoch passiert es tausendfach. Jeden Tag. Weil wir das so entscheiden. Weil wir das so wollen. Und weil es uns nichts ausmacht. Schließlich sieht das Schnitzel dem Schwein nicht mehr ähnlich und die Bärchenwurst ist doch niedlich mit ihrem lachenden Gesicht.

Die Drecksarbeit machen andere für uns. In Fleischfabriken, kalt und weiß gefliest, damit Blut, Dreck  und Tod am Abend einfach mit dem Schlauch herausgespritzt werden können. Von Menschen, die schlecht dafür bezahlt werden zu morden, die in miesen Unterkünften wohnen, um ihren Familien Geld schicken zu können.

Doch ist der Biometzger so viel besser? Er tötet anders, aber er tötet. Sein Tier war mal glücklich. Trotzdem stirbt es. Keine Wertung, nur eine Feststellung.

Betrachten wir mal die drei häufigsten Sätze, die Fleisch essende Menschen gerne sagen.

„Mein Steak war glücklich!“

Selbst, wenn das Tier, dass du nun beim Metzger kaufst, frei herumlaufen durfte, sich unter Artgenossen bewegen konnte, spielte und ein wirklich glückliches Leben führte, musste es sterben, weil wir Menschen uns herausnehmen, darüber zu entscheiden, wer leben darf und wer unserem Leben zum Opfer fallen muss.

„Wir kaufen nur Biofleisch!“

Tatsächlich stammen nur zwei Prozent der in Deutschland verkauften Fleisch- und Wurstwaren aus biologischer Landwirtschaft. Der Großteil kauft also kein bio. Der Rest, also 98 Prozent kommt aus Tierfabriken, wo Schweine, Rinder und Geflügel eng zusammengepfercht – oft in ihrem eigenen Dreck – ein kurzes Leben fristen. Und wir haben entschieden, dass sie leben. Nämlich um am Ende auf unserem Teller zu landen.

„Das war schon immer so!“

Nur, weil etwas schon lange Tradition hat, heißt das nicht, dass es heute „noch richtig“ ist. Anatomisch, also wenn man unsere Zähne betrachtet, sind wir Menschen eher zum Gemüse und Früchte essen geboren. Wir haben keine Reißzähne und können keine Knochen beißen. Außerdem haben wir im Laufe der Zeit vieles abgelegt, was wir lange „so gemacht“ haben. Weder verbrennen wir sogenannte Hexen noch hat die Frau sich ausschließlich um Heim und Herd zu kümmern. Wir entwickeln unsere Autos weiter und unsere Energiequellen. Warum nicht auch unser Essverhalten?

Übrigens verwenden wir in Deutschland mehr Flächen dazu Tierfutter anzubauen, als wir für den Gemüseanbau nutzen.

Das ist unsere Landwirtschaft

Laut dem Bauernverband bewirtschaften 185.000 Landwirte in Deutschland 11,7 Millionen Hektar Ackerland. Das sind 11,7 Millionen Fußballfelder. Neun Millionen Hektar werden nur für den Anbau von Tierfutter genutzt. Futter, das verwendet wird, um 11,8 Millionen Rinder, 26 Millionen Schweine und 173 Millionen Geflügelarten zur Schlachtreife heranzuziehen.

All diese Tiere benötigen pro Jahr 82 Millionen Tonnen Futtermittel. 3,7 Millionen Tonnen davon kommen laut Statistischem Bundesamt aus Südamerika und den USA. In Form von Soja, das ein wichtiger Eiweißlieferant ist. Das wächst dort in Monokulturen und auf Flächen, für die Regenwald vernichtet wurde, der nicht nur Lebensraum vieler Tiere war, sondern auch einen wichtigen Beitrag leistet in unserem Kampf gegen die Erderwärmung. Gespritzt mit giftigen Pestiziden, die durch Regenfälle ins Trinkwasser der dort lebenden Menschen gelangen, die an Krebs erkranken und Kinder mit schrecklichen Missbildungen zur Welt bringen.

Wir können Veränderung, aber wollen wir sie auch?

„Wenn alles so schlimm ist, wieso tut die Politik nichts?“ Eine Frage, die ich oft höre. Genauso wie beim Plastik: Wenn Plastik so schlecht ist, warum wird es nicht einfach verboten?

Tja, gute Frage. Vielleicht, weil viele Dinge eben schon lange so sind. Und weil es nicht so einfach ist, Dank fleißiger Lobbyisten, einfach Tierhaltung oder Einwegflaschen zu verbieten.

Unsere Politik traut sich zu wenig. Viele Veränderungen würden von der Gesellschaft auch nicht akzeptiert. Wir sehen ja, dass nicht einmal unser grüner Landwirtschaftsminister viel bewegen kann. Und so lange wir Menschen glauben, wir hätten ein Recht auf alles und so lange ein Herr Söder sagt, Fleischessen ist eine Entscheidung jedes und jeder Einzelnen und Fotos seines Schweinebratens mit dem Hashtag #söderisst veröffentlicht. So lange wird sich wenig ändern.

Wir müssen aber eben auch betrachten, dass wir eine Verantwortung haben. Eine Verantworten gegenüber dieser Welt, unserer Erde, unseres Lebensraums, unserer Heimat. Wir treffen Entscheidungen. Jeden Tag.

Entscheidungen für oder gegen ein Produkt.

Entscheidungen für oder gegen Leid.

Entscheidungen für oder gegen Leben.

Und wir können Dinge verändern, auch ohne Politik. Der Kampf gegen Plastik hat es gezeigt. Wir haben was zu sagen, wir können mitreden und mitentscheiden. Aber am besten selbst, dann geht es schneller. Und vielleicht drücke ich bei euch mit meinem Artikel auf den richtigen Knopf.

Ich weiß, der Text ist lang, aber oft braucht es eben ein paar Worte. Ich bin nie die, die bekehren und belehren will. Ich möchte zeigen, wie es besser geht. Schon immer. Dazu ist es aber ab und zu nötig, den Finger in die Wunde zu legen. Fühlt euch also nicht angegriffen, wenn ihr Fleisch esst – mein Mann tut es auch und ich liebe ihn trotzdem – aber denkt bitte dennoch darüber nach. Teilen ist sehr erwünscht!

Und allen, die sagen: „Mir scheißegal, ich esse, was ich will und ich liebe Fleisch“, wünsche ich guten Appetit!

7 Gedanken zu “Es gibt kein tierfreundliches Fleisch

  1. Super Artikel, vor allem ohne erhobenen Zeigefinger (auch wenn manche es so empfinden werden). Ich ernaehre mich seit ein paar jahren hauptsaechlich pflanzlich, was mir gut tut und hoffentlich auch unserer Erde. Aber ich bin jetzt fast 54 und habe zuvor viele Jahre viel Fleisch und verarbeitete Fleischprodukte gegessen. Gerne und viel, ohne darueber nachzudenken. Ich bekehre niemanden, wir muessen alle dass tun was wir fuer richtig halten und ich gebe zu es schmeckt gut. Aber ich denke, wenn jeder etwas reduziert, sind wir auf den richtigen weg. Es ist nicht fuer alle und jeden, aber vielleicht bewusster damit umzugehen tut uns allen gut. Nochmals danke fuer den tollen Artikel.

    1. Danke sehr, Andrea. Es freut mich, dass der Artikel nicht zu radikal klingt. Man erkennt schon, dass ich teilweise Hemmungen hatte, gewisse Sätze zu schreiben. Man will niemandem auf die Füße treten und trotzdem ist es an der Zeit für den Anstubser.

  2. Nicht nicht lang ist der Text, kurz und treffend würde ich sagen. Was könnte man nicht alles über die Tierindustrie, über Verpackungen und über unser Menschenverhalten schreiben. Je mehr wir wissen, desto weniger können wir das ignorieren was schiefläuft. Je mehr man liest, desto schlimmer werden die Gefühle. Gerade vor ihrem habe ich diesen Artikel gelesen über vor der Schlachtbank geflüchtete TIere: https://www.zeit.de/wissen/2022-06/animal-escape-plan-massentierhaltung-nikita-teryoshin-fotografie
    Das geht einem sehr nah.

    1. Habe mir den Artikel gerade durchgelesen. Er ist wirklich schön, wenn man das so sagen kann, angesichts der schrecklichen Geschichte, die eigentlich dahintersteckt. Ach, ich muss seufzen, wenn ich daran denke, was wir so tun…

    2. Hallo, ich bin seit 32 Jahren Veggie und wenn ich an die Anfangszeit denke, hat sich doch etwas getan. Heute bekommt man veganen Fleischersatz in jedem Discounter. Früher wurde man belächelt, heute ist es etabliert und man bekommt in jeder Wirtschaft etwas ohne Fleisch. Es findet ein Umdenken statt, aber es ist ein langsamer Prozess und wir Tierfreunde müssen uns in Geduld üben. Vielen Dank für den Beitrag es freut mich immer wieder, wenn sich jemand für Tierrechte engagiert. Es grüßt aus den Hassbergen Linnie

  3. Ich hab mal in Zusammenhang mit Biohaltung einen Satz gelesen: „Fleisch ist trotzdem immer der tote Körper von jemand, der leben wollte.“ Das finde ich eine der besten Aussagen überhaupt zu dieser Thematik.

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